Zwischen Rundfunk und Rockstars

Martin „Marv“ Endt ist Redakteur beim langjährigen CEITON-Anwender MDR. Außerdem betreibt er die Off The Road Studios in Leipzig und dreht Musikvideos mit Rocklegenden.

Martin „Marv“ Endt
Redakteur und Rocker

Redaktionsalltag

Marv, du bist ein richtiger Tausendsassa: Redakteur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Sprecher, Musiker, Veranstalter, Videoproduzent. Was ist dein Hauptberuf?
Anekdote am Rande: Bevor Marv auf die Frage eingeht, testet er erstmal mein Aufnahmegerät – Ganz der Sound-Mensch.

Ich bin Redakteur für das Magazin BRISANT. Es wird vom MDR produziert und täglich im Ersten ausgestrahlt. Die Redakteure oder „Tagesberichterstatter“ kommen früh morgens an und arbeiten an einem aktuellen Thema. Der Schnitt der Beiträge findet am Nachmittag statt und um 17:15 Uhr desselben Tages werden sie im TV gesendet.

Wie geht der Dreh so schnell vonstatten?
Wir Redakteure delegieren die Drehs an regionale Teams vor Ort. Wir haben davor schon die Interviewpartner angefragt und geben den Kollegen unsere Fragen mit. Die einzelnen Aufnahmen werden anschließend bei uns zusammengesetzt. Das muss schnell gehen – und das geht schnell.

Wie stößt du auf interessante Beiträge?
Ich höre Radio, lese Zeitungen, Online-Medien und sehe Nachrichten. Mittlerweile habe ich einen Blick dafür, was für unsere Sendung bzw. unsere Zuschauer relevant sein könnte. Ich bekomme auch Informationen von Nachrichtenagenturen und werde automatisch mit Eilmeldungen versorgt. Wenn ich zwei Wochen in der Redaktion war, bin ich ein guter Joker bei „Wer wird Millionär“ (lacht).

An welchen Themen arbeitest du aktuell?
Ich bin seit Wochen einer der Corona-Beauftragten und berichte über die diversen Aspekte der Krise, von der prekären Situation vieler Solo-Selbstständigen unter Betrugsverdacht, über Corona-Spürhunde, Impfstoffe oder die Begleitung von Ärzten auf Intensivstationen.

Gab es vor Corona ein Thema, das dich besonders bewegt hat?
Ich hatte lange Zeit über Raif Badawi berichtet, einem saudi-arabischen Blogger, der 2013 zu 1.000 Stockhieben verurteilt wurde. Er sitzt immer noch in Haft, sein gesundheitlicher Zustand ist sehr schlecht. Unterhaltung und prominente Themen kommen und gehen. Aber bei Themen wie diesem ist es mir wichtig, Leute zu erreichen und darüber zu erzählen.

Sprichst du deine Beiträge selbst ein?
Ja, das ist eigentlich so üblich bzw. gewünscht. Der Autor eines Textes kann ihn meist auch am Natürlichsten sprechen. Von uns Redakteuren kann jeder parallel eine Sprechausbildung machen. Es gibt aber auch sehr gute professionelle Sprecher und Sprecherinnen bei uns, die Beiträge vertonen. Früher habe ich meine Texte den ausgebildeten Sprechern gegeben. Mittlerweile kann ich es verantworten, dass meine eigene Stimme ertönt.

Rock ’n‘ Roll

Seit 2015 betreibst du in Leipzig die Off The Road Studios. Was passiert hier?
Wir machen Musik- und Videoproduktionen, nehmen Bands bei ihren Sessions auf und vermieten das Studio, z. B. für Filmdrehs oder an Fotografen für Modeshootings. Es gibt Bands, die hier Songwriting machen und die urgemütliche Atmosphäre für sich nutzen. Der Kamin und die Bücherwand, die mein Bruder Felix gebaut hat, sind das Trademark der Studios. Wir haben hier alles neu gemacht, den Boden, die Decke, die Tapeten. Wir wollten, dass man hier reinkommt und sich gleich wohl fühlt. Ein Kollege hat mal gesagt, es gibt Studios, die sind sehr funktional. Da geht man als Musiker rein und weiß, jetzt muss man funktionieren. Und hier kommt man rein, will sich erst einmal niederlassen und die Gemütlichkeit genießen.

Für eines unserer letzten Musikvideos habe ich zwei Monate lang 30-40 Schaufensterpuppen gekauft, z. T. in Einzelteilen. Es wurden immer mehr, ich hatte dann einen extra Raum nur für die Puppen. Wir haben das dann so bearbeitet, dass es im Video aussieht wie 200 Puppen.

Du bist auch als Tontechniker und Musikvideo-Produzent tätig?
Ja, oder ich sitze an meinem Schnittplatz. Filmen und Filmschnitt habe ich mir autodidaktisch beigebracht. Aber ich sitze beim MDR seit 13 Jahren neben den Cuttern und habe da viel zuschauend gelernt und mitbekommen.

Musikvideos sind für mich eine sehr schöne Kunstform, da sie die Stimmung, die ein Song auslöst, noch verstärken. Ich möchte emotionale Erlebnisse kreieren, die einen staunen lassen.

Wie organisierst du die Filmdrehs?
Lacht: Sehr vorsintflutlich, mit Zetteln und Excel. Das Ziel ist es, die Excel-Tabelle voll zu kriegen. In die linken Zeilen schreibe ich den Timecode, die Stelle des Liedes mit Songtext, was die Instrumente da gerade machen, um welche Aspekte es geht usw. In die oberen Spalten notiere ich, welche Kamera drankommt, welches Licht, die Einstellungsgröße, die Bildbeschreibung usw.

Und wie entstehen die Ideen für die Videos?
Eine Idee entsteht bei uns anhand der logistischen Möglichkeiten und natürlich angepasst an das Budget der Band. Das heißt, was ist möglich und was können wir daraus machen? Was möchte ich grundlegend erzählen und was ist in der begrenzten Zeit realisierbar? Meist fällt den Bands kurz vor der Veröffentlichung ein „Huch, wir brauchen noch ein Musikvideo“. Ich höre mir das Lied intensiv an, vor allem den Text, und greife zum Beispiel einen Aspekt oder eine Verszeile auf. Mit meinem Bruder, den Kollegen und kreativen Köpfen der Band spinnen wir die Ideen weiter. Manche Bands haben schon eine sehr klare Vorstellung, wie sie auftreten möchten, bis hin zum Farbton des Videos. Andere geben uns mehr Spielraum.

Für deine frühere Band Zen Zebra standst du auch schon selbst vor der Kamera. Wie war der Videodreh aus der anderen Perspektive?
Der Schauspieler hatte kurzfristig abgesagt, ich musste dann vor die Kamera. Ehrlich gesagt, das war der anstrengendste Tag in meinem Leben. Ich musste so viel rennen und schwimmen. Im Nachhinein hat der Regisseur gesagt, dass ein Schauspieler das nicht mitgemacht hätte. Mir war es halt sehr wichtig, weil das mein Song und meine Band war. Ein anderer hätte irgendwann gesagt: „Ey Leute, ich renn hier schon seit acht Stunden…jetzt reicht’s aber!“ Und wir haben halt durchgezogen. Das war eine krasse Erfahrung. Aber das ist auch das Schöne: Wenn man mit Leuten dreht, die mit Herzblut dahinterstehen, sieht man das dem Ergebnis an.

Jetzt begleitest du andere Bands mit Performance-Drehs.
Ja, im Rahmen der Off The Road Sessions filmen wir die Bands bei dem, was sie am liebsten tun. Sie haben ihr Instrument in der Hand und spielen live. Das Besondere an der Session ist, dass alles ganz schnell geht. Für den Tontechniker ist das jedes Mal ganz schlimm. Die Bands sitzen hier und wollen noch Soundcheck machen und den Sound einstellen. Ich muss dann irgendwann sagen „Leute, jetzt ist Schluss. Jetzt müssen wir aufnehmen.“ Unser Konzept ist ein Sprecher, der die Bands ankündigt, aber nicht gut dastehen lässt. Ganz im Gegenteil, er macht sich über die Bands lustig. Die Leute, die hierherkommen, wissen das und finden das gut und amüsant.

Sprecher Axel Thielmann

Wer ist der Sprecher, er kommt mir so bekannt vor…?
Axel Thielmann ist u. a. professioneller Sprecher im MDR, Moderator, hat schon in kleinen Filmen mitgespielt und er hat seine eigene Literatursendung bei MDR KULTUR. Axel hat eine Märchenonkelstimme, aber er spricht auch ironisch-sarkastische Beiträge hervorragend. Mit seiner Stimme und seiner Art der Betonung holt er Sachen raus, da liege ich teilweise vor Lachen. Axel hat auch Spaß daran. Er kennt die Bands meistens nicht, die er hier ankündigt. Das ist absolut nicht seine Musik. Über klassische Musik kann er ganz viel erzählen und philosophieren. Aber mit E-Gitarren kann er nicht so viel anfangen. Muss er auch nicht.

Apropos E-Gitarren: Bei euch waren ja schon super bekannte Rockbands!
Bei den Off The Road Sessions wurden schon einige unserer Träume Wirklichkeit: Turbostaat, die Donots, Boysetsfire, Chuck Ragan und andere Bands waren hier. Oft ist es so, dass die, die man so als Stars wahrnimmt, die gesetztesten und ruhigsten Leute sind, zumindest im Rock-Bereich. Es ist interessant zu beobachten: Je berühmter die Rockmusiker, desto sympathischer sind sie.

Mein Traum: Wenn die Deftones hier mal vorbeischauen, dann kann ich den Laden danach dicht machen. Besser geht’s für mich nicht mehr.

Limp Bizkit waren bislang die größten Stars, die hier waren und an ihrem Album gearbeitet haben. Das war sehr aufregend. Wir haben eine Verschwiegenheitsklausel unterschrieben, also darf ich da nicht so viel erzählen (schmunzelt). Aber es klang wahnsinnig gut. Was da aus den Boxen kam, war großes Kino. Der Band hat es gut gefallen bei uns. Mein Bruder und ich werden seitdem auch immer eingeladen, wenn sie wieder in der Gegend sind.

Party in der Limousine?
Ach nee, mit einer Limousine passiert das nicht. Man ist mal Backstage zusammen und geht danach vielleicht noch einen trinken. Aber in den meisten Fällen ist es nach einem Gig, der auf einer Tour passiert, nicht so, wie man das aus den Filmen kennt. Da verschwinden viele zu einer bestimmten Uhrzeit im Nightliner. Dann geht es zum Hotel, dann wird sich ausgeruht. Sie wissen, dass der nächste Tag auch wieder sehr anstrengend wird. Und je älter die Herrschaften werden, desto eher ist das so.

Danke für das Gespräch Marv. Rock on!

Das Interview mit Martin „Marv“ Endt führte Sarah Barnert am 28.10.2020. Sarah betreut unsere Social Media Kanäle und schreibt über Branchentrends.